
«Angehörige sind unsere wichtigsten Partner.»
Eine gute Zusammenarbeit mit Angehörigen ist zentral – aber auch anspruchsvoll. Fabian Steinmann, Leiter Betreuung, Pflege und Medizin, über Chancen, Herausforderungen und die Zukunft der Angehörigenarbeit bei Viva Luzern.
Viva Luzern legt grossen Wert auf die Zusammenarbeit mit Angehörigen. Warum ist das so wichtig?
Angehörige sind oft die engsten Vertrauenspersonen unserer Bewohnenden. Sie kennen ihre Lebensgeschichte, ihre Gewohnheiten, ihre Ängste und Wünsche. Diese Nähe macht sie zu unseren wichtigsten Partnern. Wenn Bewohnende selbst nicht mehr alles mitteilen können, gilt dies ganz besonders.
Wie wird die Zusammenarbeit mit den Angehörigen konkret gestaltet?
Wir setzen von Anfang an auf einen engen Austausch. Schon beim Eintrittsgespräch erfassen wir – wenn möglich und im Einverständnis der Bewohnerinnen und Bewohner – gemeinsam mit den Angehörigen die Biografie und individuellen Bedürfnisse der Bewohnenden. Das ist ein entscheidender Moment, weil wir damit eine Basis für die Beziehung legen.
Können Sie ein konkretes Beispiel dafür nennen?
Wenn wir wissen, welche Musik jemand gerne gehört hat, welche Gewohnheiten wichtig waren oder welche früheren Erlebnisse das Leben geprägt haben, können wir gezielt darauf eingehen. Gerade bei Menschen mit Demenz kann dies den Alltag erheblich erleichtern. Selbstverständlich halten wir aber auch über die Biografiearbeit hinaus regelmässig Kontakt zu den Angehörigen, um über Veränderungen zu informieren oder neue Bedürfnisse möglichst frühzeitig zu erkennen.
Das klingt nach einer idealen Zusammenarbeit. Gibt es auch anspruchsvolle Situationen?
Natürlich. Angehörige sind Teil des Familiensystems und in dieser Rolle oft auch mit herausfordernden und emotionalen Erlebnissen konfrontiert. Zu anspruchsvollen Situationen kann es auch kommen, wenn die gegenseitigen Erwartungen und Unzufriedenheiten nicht frühzeitig angesprochen werden.
Woran denken Sie?
Ein klassisches Beispiel sind pflegende Angehörige, die bereits Erfahrung haben und ihre eigene Vorstellung von Pflege mitbringen. Dann gibt es auch Fälle, in denen Angehörige Schwierigkeiten haben, Veränderungen zu akzeptieren – etwa wenn der Gesundheitszustand eines Bewohners oder einer Bewohnerin nachlässt. Umso wichtiger ist es, proaktiv und frühzeitig die gegenseitigen Erwartungen und Ziele zu definieren.
Wie gelingt dies?
Wichtig ist, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis entwickeln: Wir ziehen am gleichen Strang und wollen das Beste für die Bewohnenden. Gleichzeitig gilt es, die Grenzen des Machbaren zu erkennen, zu benennen und zu akzeptieren. Dafür braucht es Vertrauen – und eine tragfähige Beziehung zwischen Pflege und Angehörigen.
Der «Kompass Betreuung und Pflege» ist eine zentrale Orientierungshilfe für Viva Luzern. Wie hilft er in der Angehörigenarbeit?
Der Kompass gibt uns Orientierung bei unserem täglichen Engagement zugunsten der uns anvertrauten Menschen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei das Prinzip der Partizipation: Bewohnerinnen und Bewohner sowie Angehörige sollen nicht nur informiert, sondern wo möglich aktiv in die Gestaltung des Alltags einbezogen werden.
Hat dies auch mit den steigenden Erwartungen der Angehörigen zu tun?
Genau. Viele Angehörige erwarten, dass wir noch individueller auf ihre Liebsten eingehen. Sie möchten ein Höchstmass an Selbstbestimmung für die Bewohnenden – das ist verständlich. Gleichzeitig stehen wir vor der Herausforderung, diesen Anspruch mit den realen Möglichkeiten einer Institution in Einklang zu bringen.
Gibt es dabei auch Grenzen?
Ja. Wir nehmen die Wünsche von Angehörigen ernst, aber am Ende stehen die Bewohnenden und ihre Selbstbestimmung im Zentrum unseres Handelns. Dieser Punkt ist auch deshalb so wichtig, weil sich die Gesellschaft in einem starken Wandel befindet: Es gibt immer mehr Alleinlebende – und damit auch immer weniger Angehörige.
Wo und wie spüren Sie das?
Wenn immer mehr Menschen im hohen Alter kein enges familiäres Netz mehr haben, stellt uns dies auch als Betreuungseinrichtung vor neue Herausforderungen. Konkret bedeutet dies, dass wir zum Beispiel verstärkt auf soziale Teilhabe setzen – etwa durch gezielte Aktivierungsangebote, aber auch durch ehrenamtliches Engagement. Zudem prüfen wir neue Konzepte, um Menschen ohne Angehörige besser begleiten zu können.
Wie wird sich die Angehörigenarbeit in Zukunft sonst noch verändern?
Die Einbindung von Angehörigen wird noch wichtiger, aber auch komplexer. Familienstrukturen verändern sich, Erwartungen steigen, und gleichzeitig müssen wir mit den Ressourcen haushalten. Unser Ziel bleibt es, Angehörige als Partner in den Betreuungsprozess zu integrieren – aber auch klare Strukturen zu schaffen, die allen Beteiligten Sicherheit geben.
Zum Schluss: Was wünschen Sie sich von Angehörigen für eine gute Zusammenarbeit?
Vor allem Vertrauen und Offenheit. Wir alle haben das gleiche Ziel – das Wohl der Bewohnenden. Wenn wir frühzeitig im Dialog sind, können Probleme vermieden werden. Und wenn Angehörige bereit sind, auch unsere Perspektive zu verstehen, dann können wir gemeinsam viel bewirken.