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«Bei diesen Einsätzen nehme ich mir alle Zeit der Welt.»

Wenn Menschen mit Demenz unterwegs sind, kann es vorkommen, dass sie die Orientierung verlieren. Das führt nicht selten zu einem Polizeieinsatz. Einsatzgruppenchefin Ines Roth (37) verrät im Interview, wie die Luzerner Polizei mit solchen Situationen umgeht – und weshalb die Begegnungen mit dementen Personen oftmals zu den schönsten Einsätzen gehören.

Ines Roth, welche Erfahrungen haben Sie als Polizistin bei der Suche nach demenzerkrankten Personen gemacht?
Solche Einsätze kommen immer wieder vor und lassen sich grob in zwei Kategorien unterscheiden: Im ersten Fall meldet uns eine Institution oder ein Familienmitglied, dass eine an Demenz erkrankte Person verschwunden ist. In der zweiten Variante greifen wir irgendwo im öffentlichen Raum eine Person auf, die einen verwirrten oder orientierungslosen Eindruck macht. Im letzteren Fall versuchen wir mit geschickten Fragen etwas über die Herkunft oder den Namen der betroffenen Person herauszufinden.

Und wie reagieren Sie, wenn Sie informiert werden, dass eine Person vermisst wird? Zunächst bitten wir die anrufenden Personen darum, wirklich nochmals ganz genau zu schauen, ob sich die Person nicht doch irgendwo im Haus befindet. Ist dies nicht der Fall, erkundigen wir uns nach den zentralen Signalementen: Dabei geht es um die Kleidung, aber auch um körperliche Eigenschaften wie die Grösse, die Statur und besondere Merkmale. Wichtig ist auch, zu wissen, ob die Person auf Medikamente angewiesen ist – je nachdem erhöht sich dadurch die Dringlichkeit des Einsatzes. Auch bei besonders heissen oder kalten Temperaturen eilt die Zeit.

Welcher Schritt folgt als Nächstes?
Sobald die entsprechende Meldung erstellt wurde, werden alle Patrouillen über die vermisste Person informiert. Zudem informieren wir jeweils relativ rasch die öffentlichen Verkehrsbetriebe. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass sie gerne mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind.

Wie lange müssen sich die Angehörigen gedulden, bis ihre Lieben zurückkehren?
Obwohl die Personen oftmals erstaunlich weit kommen, finden wir sie meistens innerhalb von wenigen Stunden. Zuerst fahren wir immer aktuelle und frühere Bezugsorte der Person ab. Es kommt häufig vor, dass der oder die Gesuchte zu einem früheren Wohnort unterwegs ist.

Und was, wenn Sie die gesuchte Person gefunden haben?
Unsere Mitarbeitenden wurden im Rahmen ihrer Ausbildung auf den Umgang mit psychischen Erkrankungen geschult. Gerade im Kontakt mit demenzerkrankten Personen gibt es jedoch keinen Leitfaden, an den man sich eins zu eins halten könnte. Jeder Mensch reagiert anders.

Gibt es Begegnungen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Eines Tages erhielten wir einen Anruf aus einem Coiffeurgeschäft, weil sich eine demenziell erkrankte Person dort aufhielt. Die Dame war fest davon überzeugt, in einem Salon in Wien zu sein.

Als ich vor Ort eintraf, habe ich sie nicht korrigiert, sondern versucht, die Sache mit Humor anzugehen. Sie fand es faszinierend, dass ich extra aus Luzern mit dem Auto vorbeikam und sie auch noch mit mir nach Hause fahren durfte. Eine andere Frau wollte zum Beispiel partout nur Französisch mit mir sprechen, obwohl sie lupenreines Schweizerdeutsch beherrschte.

Menschen mit Demenz können auch verbal ausfällig oder sogar körperlich aggressiv reagieren. Haben Sie das auch erlebt?
Das ist mir tatsächlich noch nie passiert. Und ich habe auch eine Theorie, weshalb das so sein könnte.

Nämlich?
Das Langzeitgedächtnis funktioniert bei an Demenz erkrankten Menschen oft ja noch sehr gut. Die Betroffenen kommen aus einer Generation, in der die Leute noch Respekt vor der Polizei hatten. Ich glaube, das kommt uns bei diesen Einsätzen zugute. Ein weiterer Punkt ist die Tatsache, dass aggressives Verhalten meist bei Überforderung entsteht. Genau deshalb versuche ich immer, so gut wie möglich auf die einzelnen Personen einzugehen und ihre Bedürfnisse zu respektieren.

Wie zeigt sich das zum Beispiel?
Man kann im Umgang mit Menschen mit Demenz nichts erzwingen. Wenn zum Beispiel jemand partout nicht ins Polizeiauto einsteigen möchte, dann spaziere ich mit der Person halt nach Hause. Bei solchen Einsätzen nehme ich mir wirklich alle Zeit der Welt.

Warum liegen Ihnen diese Einsätze so am Herzen?
So tragisch die Krankheit auch ist, so schön und herzlich sind oftmals die Begegnungen mit den Menschen. Die Leute können ja auch nichts dafür, dass sie krank sind. Viele von ihnen haben ein Leben lang gearbeitet und die Gesellschaft unterstützt. Nun sind sie auf Unterstützung angewiesen. Wenn ich als Polizistin einen Beitrag dazu leisten kann, mache ich das gerne.

Haben Sie vielleicht noch einen Rat für Angehörige von demenzkranken Personen?
Es gibt Leute, die regelmässig weglaufen. In solchen Fällen sollte man sich am Morgen stets kurz notieren, was die Person am besagten Tag trägt. Hilfreich ist für uns auch, wenn aktuelle Fotos existieren. Zudem kann es sich lohnen, einen Zettel mit dem Namen und der Adresse in der Innentasche der Jacke anzubringen. Solche vorbeugenden Massnahmen können uns im Ereignisfall helfen.