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Das grosse Vergessen – und wie wir damit umgehen können

Die Krankheit kommt oftmals schleichend und äussert sich auf ganz unterschiedliche Weise. In der Schweiz leben schätzungsweise gegen 153 000 demenzkranke Menschen – Tendenz stark zunehmend. Obwohl die Demenz bis heute weder gestoppt noch geheilt werden kann, gibt es für Betroffene und deren Angehörige Gründe zur Zuversicht.

Vielleicht ist es Ihnen auch schon passiert: Obwohl Sie sich anstrengen, will Ihnen partout nicht mehr einfallen, was Sie am Vortag zu Mittag gegessen haben. Oder haben Sie womöglich kürzlich Ihren Wohnungsschlüssel oder Ihre Brille verlegt – mal wieder? Nun, seien Sie beruhigt: Solche Vorkommnisse sind ganz normal und noch kein Grund zur Sorge. «Das kann passieren, wenn wir gestresst sind oder einfach mal einen schlechteren Tag haben», erklärt Andreas Studer, Heimarzt von Viva Luzern. Problematischer wird es, wenn sich solche Verhaltensweisen häufen, immer wieder vorkommen – und irgendwann sogar den Alltag prägen. Wenn Sie also ständig Dinge verlegen oder Ihnen eigentlich geläufige Namen entfallen. Wenn Sie Mühe haben, die richtigen Worte zu finden – oder wenn Sie sich plötzlich in einer eigentlich vertrauten Umgebung nicht mehr zurechtfinden. «Das alles sind klare Anzeichen eine möglichen Demenz», sagt Andreas Studer.

Dr. med. Andreas Studer, Heimarzt Viva Luzern.

Bis 2050 doppelt so viele Erkrankte
Bei Demenz handelt es sich um den Oberbegriff für verschiedene Hirnerkrankungen, die einen geistigen Abbau zur Folge haben. Alzheimer ist die mit Abstand am weitesten verbreitete Form, sie betrifft mehr als die Hälfte aller Erkrankten. Es gibt aber auch andere Diagnosen wie zum Beispiel die vaskuläre Demenz. Bei dieser Variante kommt es häufig zu Lähmungen, Taubheitsgefühlen oder Gangstörungen, was bei der Alzheimerkrankheit nicht der Fall ist. Aktuell leben in der Schweiz gegen 153 000 Menschen mit Demenz – zwei Drittel davon sind Frauen. Und die Zahlen steigen stark: «Bis 2050 werden in der Schweiz voraussichtlich über 300 000 Menschen an Demenz erkranken – sofern bis dahin keine wirksame Behandlung gefunden wird», sagt Andreas Studer. Der Grund für die Zunahme ist einleuchtend: Weil aufgrund der demografischen Entwicklung in Zukunft immer mehr alte Menschen bei uns leben werden, wird sich dies auch auf die Zahl der Demenzerkrankten auswirken. Denn: «Der grösste Risikofaktor ist und bleibt das Alter», erklärt Andreas Studer.

Körperliche Faktoren sind entscheidend
Obwohl bis heute noch kein Heilmittel gegen die Alzheimerkrankheit existiert, gibt es durchaus Gründe zur Zuversicht: Zwar wird es in Zukunft mehr Demenzfälle geben – prozentual zur Bevölkerung gehen die Krankheitsfälle jedoch schon seit Jahren zurück. Der Hauptgrund: «Die Leute leben heute gesünder als noch vor 20 oder 30 Jahren.» Regelmässige Bewegung, eine gesunde Ernährung, Kontrolle von Blutdruck und Blutzucker, weniger Alkohol, Rauchstopp – all diese Faktoren beeinflussen den Alterungsprozess positiv. «Gedächtnistraining und geistige Fitness sind wichtig, noch entscheidender sind aber die körperlichen Faktoren», betont Studer. Die Präventionsmassnahmen sind die gleichen wie jene für das Herz-Kreislauf-System. Oder einfach formuliert: «Alles, was fürs Herz gut ist, ist auch gut fürs Hirn.» Damit hat es jede und jeder in der Hand, sein persönliches Demenzrisiko zu reduzieren.

Eine weitere positive Nachricht: Forschung und Medizin machen im Bereich der Alzheimerkrankheit grosse Fortschritte. «Zwar gibt es bis heute kein Heilmittel, doch die Chancen stehen gut, dass sich dies in den kommenden Jahren ändern wird», betont Andreas Studer. Schon heute wird Alzheimer mit Medikamenten behandelt. «Diese können den Verlauf der Krankheit zwar nicht verändern, aber zumindest verzögern.» Neuere Therapieformen würden diesbezüglich immer weitere Fortschritte erzielen. «Da es sich bei der Demenz um eine weltweite Volkskrankheit mit vielen Millionen Betroffenen handelt, wird rund um den Globus intensiv daran geforscht.»

Der Hausarzt als erste Anlaufstelle
Was aber sollte man tun, wenn man bei sich selber oder bei einer nahestehenden Person den Verdacht auf eine demenzielle Erkrankung hat? «Vor allem bei älteren Leuten sollte der Weg immer über den Hausarzt führen», rät Andreas Studer. Besteht der Verdacht auf eine Demenz, führt der Hausarzt diverse körperliche, kognitive und laborchemische Untersuchungen durch. «In der Regel reicht dies, um eine Diagnose zu stellen und eine Behandlung einzuleiten.» Bei jüngeren Personen oder je nach den Bedürfnissen der betroffenen Person könne es Sinn machen, an einer Memory Clinic weitere Untersuchungen durchführen zu lassen, so Studer. «Neben dem Gedächtnis werden dort auch die Sprachfähigkeiten, das räumliche und visuelle Vorstellungsvermögen, strategisches Denkvermögen und weitere Aspekte beurteilt und Bildgebungen des Hirns durchgeführt.»

Eine weitere Frage, die sich viele Betroffene und deren Angehörige stellen dürften: Wie lange kann ich im Falle einer Demenz noch zu Hause bleiben? «Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es leider nicht», sagt Andreas Studer. «Dies, weil sich die Krankheit bei jeder Person ganz anders präsentieren kann.» Heisst: Während manche Betroffenen trotz demenzieller Erkrankung noch einige Jahre zu Hause bleiben können – allenfalls mit punktuellen Unterstützungsangeboten –, kann bei andern der Eintritt ins Alterszentrum schon sehr früh zum Thema werden. «Dies insbesondere auch dann, wenn die Betreuung zu Hause für die Angehörigen zur Belastung wird.» Der Umzug in ein demenzgerechtes Alterszentrum sei für viele Betroffene eine sinnvolle Lösung.

Ein proaktiver Umgang lohnt sich. Denn klar ist: Eine demenzielle Erkrankung belastet nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren Umfeld. «Eine Demenz betrifft immer mindestens zwei oder mehr Personen», betont Andreas Studer. «Wichtig ist, dass sich die nahestehenden Menschen stets bewusst sind, dass die betroffene Person nicht bewusst oder gar aus bösem Willen heraus handelt.» Wer den Verdacht hegt, dass eine nahestehende Person unter einer demenziellen Krankheit leidet, sollte möglichst proaktiv damit umgehen. «Tauschen Sie sich mit Fachpersonen, anderen Angehörigen und Freunden aus», rät Andreas Studer. «Informieren Sie sich über Therapiemöglichkeiten und Unterstützungsangebote und begleiten Sie Ihren Angehörigen oder Ihre Angehörige zum Hausarzt.» Für den Heimarzt von Viva Luzern ist klar: «Je früher und intensiver wir uns mit der Krankheit auseinandersetzen, desto besser stehen die Behandlungschancen.»

Verdacht auf Demenz?

Das sind Warnsignale. Vergesslichkeit ist zwar eines der bekanntesten Anzeichen von Alzheimer, tritt jedoch nicht als einziges Symptom auf. Zu den möglichen Anzeichen von Demenz gehören:

Gedächtnisstörungen: Die Person verpasst Termine, vergisst Namen und Informationen sowie wichtige persönliche Ereignisse.

Mühe mit der Sprache: Der Person fällt öfters das passende Wort nicht mehr ein. Sie versucht das Wort zu umschreiben, beendet Sätze nicht oder weicht Gesprächen aus.

Orientierungsschwierigkeiten: Der Person fällt es zunehmend schwer, den Weg zu einem bekannten Ort zu finden. Auch die zeitliche Orientierung kann betroffen sein.

Schwierigkeiten bei Routinearbeiten: Die Person hat Mühe, alltägliche Aufgaben zu erledigen, beispielsweise Zahlungen zu machen oder Einkäufe zu planen.

Ungewohntes Verhalten: Manchmal werden Betroffene plötzlich misstrauisch, ängstlich, apathisch oder reizbar, was dazu führen kann, dass sich die Person sozial zurückzieht.