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«Ich bin jeden Tag mit dem Sterben konfrontiert.»

Erste Hilfe? Ja klar! Letzte Hilfe? Tod und Sterbebegleitung sind Themen, die in vielen Gesellschaften ein Tabu darstellen. Hier setzt der Kurs «Letzte Hilfe» an, den Tanja Kauer von Viva Luzern mitleitet.

Es gibt verschiedene Gründe, warum der Tod tabuisiert wird. Seien es die Angst vor dem Tod als letztes grosses Rätsel des Lebens, kulturelle und religiöse Hintergründe, natürliche Abwehrmechanismen zu schweren Themen oder die Gesellschaft, die von Jugendlichkeit, Gesundheit und Erfolg geprägt ist. «Dass man nicht darüber reden oder nachdenken will, kann darüber hinaus auch mit den vielfältigen medizinischen Möglichkeiten zu tun haben, ein Leben zu retten oder zu verlängern. Es werden inzwischen viel mehr Therapiemöglichkeiten angeboten als früher», so Tanja Kauer (26), stellvertretende Leiterin der spezialisierten Palliative Care von Viva Luzern. «Der Fokus wird heute mehr auf lebensrettende oder -verlängernde Massnahmen gelegt. Auch wenn diese eine starke Beeinträchtigung der Lebensqualität zur Folge haben können. Dem Tod wird kaum mehr Platz eingeräumt», führt sie aus.

Die Vorausplanung ist zentral
Für Tanja Kauer sind Sterben und Tod seit jeher ein natürliches Thema. Dass sie in ihrem Alter eine Patientenverfügung ausgefüllt hat, ist für sie selbstverständlich. Sie will verhindern, dass ihre Angehörigen eine Entscheidung für sie treffen müssen, sollte sie einmal nicht mehr selber sprechen, trinken und essen können oder schwer pflegebedürftig sein. Die Sensibilisierung zum Thema Sterben sowie das Ausfüllen des Vorsorgeauftrags und der Patientenverfügung sind wichtig, um den Stress in Notfallsituationen mindern zu können. Deshalb hat sich Tanja Kauer entschieden, sich zur Kursleiterin des Letzte-Hilfe-Kurses ausbilden zu lassen. Ihre Motivation: «Ich möchte, dass die Menschen im Umgang mit Palliative Care, Sterben, Tod und Abschiednehmen mutiger werden und sich mit dem Thema auseinandersetzen. Wir brauchen mutige Leute. Wenn mehr Menschen den Kurs besuchen, kann vieles einfacher werden: Man kann zum Beispiel dem schwer kranken Nachbarn beistehen und dessen Partnerin ein paar Stunden entlasten.»

Wertschätzung für die Angehörigen
Die Angehörigen spielen eine zentrale Rolle bei der Begleitung sterbender Menschen. Sie kennen die Patientinnen und Patienten am besten und geben dem Pflegepersonal wertvolle Einblicke in das bisherige Leben. Oft haben sie einander vor Jahren versprochen, bis zum Schluss füreinander da zu sein. Dabei waren sie sich nicht bewusst, wie vielschichtig und anspruchsvoll die Pflege von Angehörigen ist. «Funktionierende Angehörige» beobachtet Tanja Kauer oft. «Selbstlos organisieren sie alles, bis sie selbst an ihre Grenzen stossen. Sie verdienen und brauchen viel Wertschätzung für das, was sie für die Betroffenen geleistet haben.»

Letzte Hilfe – informativ und praxisbezogen
Franziska Camenzind (58) nahm am Kurs bei Tanja Kauer teil. Angesprochen haben sie das niederschwellige Angebot, dass keine Vorbereitung oder Vorkenntnisse nötig waren, die Kursdauer sowie der ansprechende Titel «Letzte Hilfe».

Franziska Camenzind. Teilnehmerin des Kurses «Letzte Hilfe».

Wie haben Sie sich zu Beginn des Kurses gefühlt?
Die Stimmung war eher von Neugier als von Hemmungen geprägt. Die Teilnehmenden beschrieben einleitend ihre Motivation für den Kursbesuch. Das fand ich sehr interessant, wie andere über den Tod denken.

Was nehmen Sie aus dem Kurs mit?
Neue Rituale, die über die religiösen hinausgehen, bleiben mir positiv in Erinnerung: Man kann sie zusammen mit der sterbenden Person entwickeln, wenn man realisiert, was ihr gefällt und was sie sich wünscht. Es ist eine Begegnung von Mensch zu Mensch. Die Kursleiterinnen haben uns verschiedene Hinweise gegeben, dass zum Beispiel gedämpftes Licht, ein Farbenspiel oder leichte Musik von vielen als wohltuend erlebt wird. Was mir speziell geblieben ist: dass man die eigene Hand unter die Hand der sterbenden Person legt. So kann sie ihre Hand wegziehen und fühlt sich in ihren Bedürfnissen respektiert.

Was geben Sie Menschen mit, die sich überlegen, den Kurs zu besuchen?
Anmelden, wenn Interesse da ist! Es ist ein informativer, kostenloser Kurs mit Kollekte. Die Kursleiterinnen gestalteten den Kurstag sehr angenehm, vermittelten viel Kompetenz und pflegten einen wohlwollenden Umgang mit den Teilnehmenden.

Ritual spezialisierte Palliative Care Viva Luzern
Tanja Kauer, stv. Leiterin der Abteilung spezialisierte Palliative Care und Kursleiterin Letzte Hilfe
Spezialisierte Palliative Care Viva Luzern

Die Komplexität von Sterbebegleitung
Die Palliative Care betreut Menschen ganzheitlich unter Berücksichtigung der körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Dimension. Dazu kommen komplexe Fragen wie die Bedeutung und Aufrechterhaltung von Lebensqualität. Das alles ist Teil des Kurses. «Im Letzte-Hilfe-Kurs geben wir seitens Seelsorge und Pflege den Teilnehmenden wertvolles Handwerk mit und ermutigen sie, selber aktiv zu werden und so der Hilflosigkeit bei der Begleitung schwer kranker Menschen entgegenzuwirken. Ähnlich wie im Erste-Hilfe-Kurs: Einen Notfall erkennen, Nr. 144 anrufen und mit lebensrettenden Massnahmen beginnen.»

Enttabuisierung des Tods
Es ist wichtig zu erkennen, dass der Umgang mit dem Thema Sterben individuell ist und von kulturellen, religiösen und persönlichen Faktoren beeinflusst wird. Dennoch kann eine offene und respektvolle Kommunikation über Sterben und Tod dazu beitragen, dass Ängste gemildert, Vorurteile abgebaut und eine bessere Unterstützung für Menschen in schwierigen Lebenssituationen ermöglicht wird. Es ist ein Schritt, der dazu beitragen kann, das Tabu zu durchbrechen und das Thema Sterben in unserer Gesellschaft angemessener anzugehen.

Letzte-Hilfe-Kurs
Erfahrene Fachpersonen aus unterschiedlichen Bereichen der Palliative Care und der Seelsorge vermitteln im vier- bis sechsstündigen Kurs Grundwissen zu Sterbebegleitung und unterstützenden Angeboten. Der Kurs beinhaltet vier Themenschwerpunkte.

  • Sterben ist ein Teil des Lebens
  • Vorsorgen und Entscheiden
  • Leiden lindern
  • Abschied nehmen

Detaillierte Kursinformationen unter reflu.ch/letztehilfe