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Wenn Pralinen vom Himmel fallen

Sprachgewandt, lebensfroh und kommunikativ: So war Rita Richard ihr ganzes Leben lang. Sei es als Mutter von zwei Töchtern, im Beruf oder als Schauspielerin auf der Theaterbühne.

Rita Richard steckte ihr Leben lang voller Tatendrang. «Das habe ich von meinem Vater geerbt», sagt die heute 91-Jährige. Rita Richard, damals heisst sie noch Rita Bieri, wächst in den 1930er-Jahren in Ruswil auf, zusammen mit fünf Schwestern und einem Bruder. Ihr Vater arbeitete in der damals ganz neu eröffneten Grossgarage der Rottal AG als Mechaniker. Gleichzeitig amtete er aber auch als Fahrlehrer, brachte den Ärzten in der Gegend das Autofahren bei. Und wenn es für den Bus nach Luzern noch dringend einen Chauffeur brauchte, dann setzte er sich auch dort ans Steuer. «Mein Vater war ein Allrounder. Wo immer es etwas zu tun gab, packte er mit an.»

Tauschhandel auf dem Pausenplatz
Auch Rita Richard packt schon früh mit an. Als sie in die Schule kommt, beginnt der Zweite Weltkrieg – und das spürt man auch in Ruswil. Plötzlich werden Lebensmittel rationiert und Lebensmittelkarten werden so wichtig wie Geld. «Es war für mich immer ein riesiges Erlebnis, wenn wir Kinder auf der Kanzlei die Karten holen konnten.» Aber nicht immer gibt’s die Karten, die man will. «Uns haben immer Milch- und Ankenmärkli gefehlt», erzählt Rita Richard. Also beginnt sie, auf dem Pausenplatz mit Kindern von Bauernhöfen Lebensmittelkarten zu tauschen. Eine gute Idee, hatten doch Bauernfamilien ihre eigene Milch und stellten selber Anken her. Im Gegenzug gab es für die Bauernkinder Schals und Socken, die Ritas Mutter selber strickte. Der Tauschhandel hatte Erfolg: Auf ihr geliebtes Butterbrot musste Rita Richard während ihrer Schulzeit nie verzichten.

Faszination für Fremdsprachen
Nach der Sekundarschule geht’s für Rita Richard ins «Wäutsch», wie sie ihren einjährigen Sprachaufenthalt in der Romandie noch heute nennt. «Fremdsprachen haben mich schon immer fasziniert, und es ist mir auch immer leichtgefallen, eine neue Sprache zu lernen.» Später, Rita Richard ist da schon mit ihrem zukünftigen Ehemann Ernst verlobt, folgt noch ein weiterer Sprachaufenthalt in England. Eine Reise, die ihr nur schon wegen des Flugs nach England unvergessen bleibt: «Der Flughafen in Kloten bestand damals nur aus ein paar wenigen kleinen Holzbaracken. Man konnte sein Flugticket ganz einfach am Schalter kaufen und dann direkt ins Flugzeug einsteigen.»

Courage zahlt sich aus
So viel Spass Rita Richard das Lernen von Fremdsprachen machte, so gross war in der Ferne allerdings auch ihr Heimweh. «Kaum war ich fort von daheim, vermisste ich meinen Verlobten, meine Eltern und meine Geschwister ganz schrecklich. Ich war eine richtige ‹Längi-Ziit-Täsche›.»

Doch das Durchhalten lohnt sich: Die guten Fremdsprachenkenntnisse helfen Rita Richard in ihrem weiteren Berufsleben. Als sie nach ihrem Englandjahr erfährt, dass bei der heutigen Geistlich Pharma in Wolhusen Sekretärinnen gesucht werden, steigt sie kurz entschlossen in den Bus, fährt allein nach Wolhusen und stellt sich spontan vor. Die Courage der jungen Frau kommt gut an. Schon am nächsten Tag kann sie mit Arbeiten anfangen und darf schon bald fremdsprachige Korrespondenz mit internationalen Firmen führen.

Ein romantischer Höhenflug
Ihren Mann Ernst, einen passionierten Hobbypiloten, lernt Rita Richard an ihrem ersten Arbeitsort kennen, der Weber Elektrotechnik in Emmenbrücke: «Ernst und ich verstanden uns auf Anhieb sehr gut. Aber er musste sich dann schon noch ein wenig anstrengen, bevor er mich kriegte.» Und wie sich Ernst anstrengte! Dem Verliebten wuchsen zwar nicht gerade Flügel, jedoch besorgte er sich welche. Er lieh sich bei Pilotenkollegen ein Sportflugzeug aus, flog mit diesem über Ruswil und liess genau über Ritas Elternhaus an glänzenden Girlanden festgebundene Pralinenschachteln vom Himmel fallen. «Das war schon wahnsinnig romantisch! Alle meine Schwestern waren ganz aus dem Häuschen», schwärmt Rita Richard, und ihre Augen strahlen bei der Erinnerung an diesen unvergesslichen Moment auch heute noch so, wie sie es vor 70 Jahren taten.

Nach der Heirat ziehen Rita und Ernst Richard nach Littau-Reussbühl. Kurz darauf kommt Tochter Susanne zur Welt, sieben Jahre später die zweite Tochter Gabriela. «Meine Familie ist mein grosses Glück», sagt Rita Richard. «Ich hatte einen liebevollen Ehemann, zwei tolle Töchter, fünf wunderbare Enkelkinder und vier Urenkelkinder. Was will man mehr?»

Feuer und Flamme
Als die Töchter grösser werden, beginnt Rita Richard wieder zu arbeiten. Mit Herz und Seele übernimmt sie die Leitung des Bahnhofkiosks in Luzern und bedient Touristen aus aller Welt. Zuerst im alten Bahnhof, dann bis zu ihrer Pensionierung im neuen. «Als der Bahnhof brannte, hatte ich zum Glück gerade frei», erzählt Rita Richard. «Es war früh am Morgen, ich war auf der Seebrücke und wollte zum Coiffeur. Da sah ich beim Bahnhof Rauchschwaden aufsteigen. Mir war sofort klar, dass das einen grossen Brand geben wird.»

Später entdeckt Rita Richard eine neue grosse Leidenschaft: das Theaterspielen. Sie schliesst sich der Theatergruppe Littau an und bleibt dort, bis sie weit über 80 Jahre alt ist. Ihre Paraderolle und ihr grösster Erfolg: die Mutter Baumann in der kleinen Niederdorfoper.

Noch alles da im Kopf
«Ich habe viel erlebt in meinem Leben», sagt Rita Richard und lächelt verträumt in sich hinein. Die Erinnerungen an ein schönes und reiches Leben halten sie jung, auch wenn sie manchmal Sachen vergisst. «Ich weiss noch alles, aber manchmal entfallen mir die Details. Ich habe sie im Kopf, aber sie wollen nicht hinaus.» Für die Details sei nun halt ihre Tochter Gabriela zuständig. Rita Richard muss lachen: «Es ist lustig, am Ende eines Lebens wissen die Angehörigen mehr über einen als man selbst.»

An ihre Rolle in der kleinen Niederdorfoper erinnert sich Rita Richard besonders gern.
  • Zur Person
    Rita Richard wächst mit fünf Schwestern und einem Bruder in Ruswil auf. Bei der Arbeit lernt sie ihren Mann Ernst kennen. Die beiden ziehen nach Reussbühl und werden Eltern von den beiden Töchtern Susanne und Gabriela. Als die Kinder grösser werden, beginnt Rita Richard als Leiterin im Bahnhofkiosk in Luzern zu arbeiten, wo sie bis zu ihrer Pensionierung bleibt. Bei der Theatergruppe Littau entdeckt sie ihre grosse Liebe fürs Theater. Heute lebt Rita Richard im Viva Luzern Staffelnhof.