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Ein vollgepackter Alltag

Wie dürfen wir uns das Leben bei Viva Luzern vorstellen? Wir treffen drei Bewohnende mit unterschiedlichen Geschichten, die eines gemeinsam haben: Persönliche Kontakte sind wichtig und werden aktiv gepflegt.

Laszlo Kummer (85) begrüsst mich in seinem Zimmer im Viva Luzern Staffelnhof. Mein Blick fällt gleich auf die vielen Töpfe auf dem Fenstersims. Die Chilistauden wachsen in die Höhe, die einen noch grün, die anderen rot und reif für die Ernte. «Möchten Sie eine probieren?», fordert mich Laszlo Kummer schmunzelnd heraus. Er esse gerne scharf. Weil man nie wisse, ob die Schärfe der Chilis aus dem Reformhaus ausreiche, habe er kurzerhand mit seiner eigenen Chilizucht begonnen. Das eigens gemahlene Chilipulver steht immer auf seinem Tisch im Restaurant bereit, um dem Essen die nötige Würze zu geben. 1937 in Ungarn geboren, besuchte er bereits als Zehnjähriger erstmals die Schweiz. Die Ferienaktion des Roten Kreuzes in Oberrieden blieb im Gedächtnis haften. Schon damals habe er davon geträumt, wieder einmal in die Schweiz zu kommen. Der Grund, wieso er 1956 zurückkehrte, war jedoch ein anderer: Während des Aufstands in seinem Heimatland flüchtete er zusammen mit seinem vier Jahre jüngeren Bruder, ohne die Eltern vorab zu informieren, und kam über Österreich in die Schweiz. Hier lernte er rasch durch Eigenfleiss Deutsch und arbeitete fortan als Spritzlackierer. Seit gut einem Jahr wohnt er im Viva Luzern Staffelnhof.

Körperliche und geistige Bewegung

Bereits in den frühen Morgenstunden fordert er seinen Körper: Nach dem Morgenturnen im Zimmer und dem anschliessenden Frühstück zieht es ihn hinaus zu einem Spaziergang, den er gleich nochmals mit Turnübungen verbindet. «Die Gelenke müssen beweglich und die Muskeln erhalten bleiben», erklärt er. Neben seiner Motivation zur Bewegung ist auch sein Wissensdurst beeindruckend: Laszlo Kummer liest täglich zwei Zeitungen und informiert sich über das aktuelle Weltgeschehen. Er nutzt das Aktivierungsangebot von Viva Luzern regelmässig. Seit einiger Zeit besucht er einen Englischkurs. Ein wenig Wehmut macht sich breit – es sei noch nicht sicher, ob der Kurs ab Ende August weitergeführt werde. Er würde sich dann mit dem Tonband im Selbstunterricht behelfen und sich weiterhin mit anderen Bewohnenden auf Englisch verständigen. Denn Sprachen liegen ihm: Neben seiner Muttersprache beherrscht er Deutsch und lernte durch seine Frau auch Griechisch.

Technologische und kreative Stunden

Seit Kurzem besucht Laszlo Kummer zudem den Multimediakurs und lernt den Umgang mit seinem eigenen Laptop. Hinzu kommt zur physischen und geistigen Fitness auch die Musse. Neuestens malt er Aquarellbilder. Dabei orientiert er sich an einem Einführungsbuch über die Malerei, das ihm seine Schwägerin geschenkt hat. «Vielleicht versuche ich es auch einmal mit Acrylfarben. Aber Picasso werde ich nicht in den Schatten stellen», meint er verschmitzt.

Kontaktpflege ist wichtig

Beim «Hirn-Jogging» und «Fit in den Tag» knackt er zusammen mit anderen Gruppenmitgliedern Rätsel und löst geistige Aufgaben. Einige wüssten mehr als andere, aber in der Gruppe finden sie immer gemeinsam einen Lösungsweg. Überhaupt pflegt er bewusst den Kontakt zu anderen Menschen. «Man darf sich nicht abkapseln», ist er überzeugt. «Es ist wichtig, dass wir untereinander unsere Gedanken austauschen, unterschiedliche Interessen teilen und zusammen aktiv sind.»

Bethli Brunner: «Ich will auf Augenhöhe mit jemandem reden.»

Bethli Brunner (84) hat eine eigene E-Mail-Adresse und bezahlt ihre Rechnungen mittels E-Banking. Sie googelt wenn nötig selber, um die ärztlichen Empfehlungen zu prüfen und um sich eine eigene Meinung zu bilden. Auch wenn sie es sich jedes Jahr kurz überlegt, das Angebot der Gewerkschaft zu nutzen – die Steuererklärung füllt sie weiterhin selber aus. «Es ist mir wichtig, das Heft in die Hand zu nehmen», erklärt sie. «Solange man im Kopf gut beisammen ist, kann man doch noch alles selbst regeln.»

Sie sei vielleicht etwas zu früh ins Betagtenzentrum gezogen, meint Bethli Brunner. Nachdem sie jedoch innerhalb eines Monats notfallmässig drei Mal ins Spital musste, kamen Bedenken auf, dass man ihr eines Tages im Spital verkündete, nicht mehr nach Hause zurückkehren zu können. So rief sie kurzerhand bei Viva Luzern an, sah sich die freie Wohnung im Haus Aquamarin am Silvestertag 2020 an und verliebte sich gleich in ihr neues Zuhause, das sie einen Monat später bezog. «Die Aussicht auf das Stanserhorn, den Pilatus und im Winter insbesondere auf die Rigi ist wunderbar. In meiner Wohnung erhalte ich dieselbe Betreuung wie im Betagtenzentrum, und ich kann kommen und gehen, wie es mir passt», beschreibt sie. Sie sei immer noch viel auf der Gasse, gehe praktisch jeden Tag in die Stadt. Denn dort gebe es immer etwas zu tun, auch wenn es nur auf einen Kaffee mit einer Kollegin sei.

Gedächtnistraining in der Gruppe

Spazieren sei nicht so ihr Ding. «Aber diese Woche habe ich mich ins Füdli geklemmt und bin von der Endstation Obergütsch zum Dattenberg gelaufen.» Statt der Bewegungstherapie besucht Bethli Brunner lieber das Gedächtnistraining und das Strick-Stübli. Es sei schade, dass diese Angebote nicht immer gleich rege genutzt würden, bedauert sie. «Von allen Häusern sind wir im wöchentlichen Gedächtnistraining nur zu siebt. Selbst in der Jassgruppe müssen wir zusehen, dass wir genügend Personen zusammenkriegen.»

Hilfe annehmen und Ideen einbringen

Auf die Frage, wie es sich anfühle, einmal auf Unterstützung angewiesen zu sein, meint Bethli Brunner: «Vorläufig benötige ich keine Unterstützung. Ich werde mich dann mit diesem Thema auseinandersetzen, wenn es so weit ist. Durch meine langjährige Tätigkeit beim Besuchsdienst der protestantischen Kirche und des Invalidenbunds – heute Procap – war ich viel mit körperlicher Beeinträchtigung konfrontiert. Hilfe anzunehmen, wird mir leichtfallen, wenn ich dann auch körperliche Unterstützung benötige.» Schwieriger werde es, wenn sie unterschätzt werde.

Es sei entscheidend, dass sie auch mit dem Betreuungspersonal auf Augenhöhe reden könne. «Es ist mir bewusst, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohnenden anspruchsvoll sind. Für die Mitarbeitenden ist es auch nicht einfach, herauszufinden, wie die einzelnen Personen ticken.» Umso mehr fühlte sie sich ernst genommen, als der Chef der Restauration einmal persönlich vorbeikam und nach Verbesserungsvorschlägen nachfragte. Bethli Brunners Idee, Essensgutscheine für das Bistro anzubieten, kam an. Nun geniesst ihr Besuch ein gemeinsames Essen, ohne zu erfahren, was es kostet.

Rosmarie Gosswiler: «Ich habe immer hart gearbeitet und geniesse es hier umso mehr.»

Rosmarie Gosswiler (86) ist dankbar, dass nach ihrem akuten Spitalaufenthalt vor gut einem Jahr genau noch ein Zimmer im Viva Luzern Staffelnhof frei war. Nach der Knieoperation, verbunden mit einem Herzstillstand während der Narkose, rieten ihr die Ärzte, sich ausreichend zu erholen. Die Entscheidung, anstelle eines dreiwöchigen Aufenthalts gleich langfristig hierherzuziehen, traf sie eigenständig: «In der alten Wohnung wäre die Unterstützung der Spitex nötig gewesen. Und ich wusste ja nicht, ob ich wieder einmal zurück ins Spital komme.»

Seit über 60 Jahren im Quartier

Hier habe sie ein neues Zuhause in einer vertrauten Umgebung gefunden. «Das habe ich mir verdient – nachdem ich ein ganzes Leben lang hart gearbeitet habe, geniesse ich es umso mehr», meint sie zufrieden. Sie spürt ein wenig Genugtuung, wenn sie an ihre Vergangenheit denkt: «Als Scheidungskind hatte ich eine harte Jugend. Bereits mit 8 Jahren zog ich mit meinem Vater von Winterthur ins Appenzell. Nach 5 Schuljahren siedelten wir ins Toggenburg über, wo mein Vater ein zweites Mal heiratete. Mit 18 Jahren traf ich den Entschluss, den Koffer zu packen und zu meiner Mutter nach Luzern zurückzukehren.» Hier blieb sie, gründete zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann eine fünfköpfige Familie und verbrachte die letzten 60 Jahre gleich in der Nähe des Staffelnhofs.

Fotografieren mit dem Handy

«Das hat mir geholfen, hier schnell Anschluss zu finden. Ich zeige den Bewohnenden das Quartier, begleite sie zu Arztbesuchen oder Einkäufen und motiviere sie, die schöne Gegend zu Fuss zu entdecken», erzählt sie. «Ich lebe hier selbstständig und spaziere viel. In der hausinternen Physiotherapie zeigten sie mir Tricks, wie ich knieschonend laufe. Das Handy nehme ich immer mit.» Rosmarie Gosswiler lernt im Multimediakurs den Umgang mit dem Handy und möchte Fotos aufnehmen können. Denn im Dezember werde sie zum ersten Mal Urgrossmutter. Und dieses Ereignis will festgehalten werden!

Den Alltag spontan gestalten

Über das Aktivierungsprogramm informiert sie sich jeweils über die hausinterne Agenda oder am Bildschirm beim Empfang. «Vom umfangreichen Aktivierungsprogramm im Staffelnhof bin ich angenehm überrascht. Ich entscheide spontan, ob es zu einem weiteren Jass reicht, wenn ich nicht gerade Besuch von einer Kollegin erhalte und zusammen mit ihr musiziere und zweistimmig auf der Zither spiele.»

Rosmarie Gosswiler trifft sich einmal pro Woche mit einer Vertretung der Kirche zum Morgengebet in der Kapelle und besucht samstags den Gottesdienst. Sie macht sich Gedanken darüber, einmal auf Hilfe angewiesen zu sein; insbesondere durch ihren an Demenz erkrankten Bruder. «Meine Geschwister meinten immer, als Älteste der drei Kinder sei ich die Rüstigste. Sollte ich dann doch einmal auf Unterstützung zählen müssen, wäre ich nicht stur und würde das so akzeptieren», meint sie und fügt gleich an: «Ich glaube nicht, dass ich einmal an Demenz erkranke. Das ist ein Geschenk Gottes, da ich so viel gearbeitet habe.»

Tauchen medizinische Fragen bei ihr auf, wendet sie sich offen an das Personal, mit dem sie sich sehr gut verstehe. Schliesslich möchte sie informiert sein, welche Medikamente sie erhält. Aber zur Podologie geht sie weiterhin in das Geschäft ihrer Tochter im Ruopigen-Zentrum. «Dann bleibt das Geld in der Familie», meint sie schmunzelnd.